Bayern früher - heute

Die Bilddatenbank des BUND Naturschutz zum Landschaftswandel in Bayern

Landschaftswandel

Formung und Normung

Alfref Ringler

Soviel Veränderung war nie – wir werden umdenken müssen.

Zwar steht manches verlässlich und unbeirrbar, die Alpen, der Chiemsee, Klöster und Burgen, Magnete für Einheimische und Besucher, die Bayern bereisen und bewundern. Trotzdem hat unsere uralte Kulturlandschaft seit dem Zweiten Weltkrieg ihr Gesicht so einschneidend verändert wie noch nie. Hat sie es dabei verloren? Natürlich gilt auch für hier das Bonmot, wonach das einzig Beständige der Wandel sei. Was jedoch kein Argument dafür ist, dass jeder Wandel sinnvoll, zwangsläufig oder gar ökologisch nachhaltig wäre. Sicher ist: Mit den jüngeren Veränderungen waren und sind dramatische Verluste an biologischer Vielfalt verbunden, die heutige Landschaften nicht nur als defizitär erscheinen lassen. Sie sind verarmt.

Doch wie sähe nachhaltige Landnutzung aus? Anhaltspunkte können Vergleichsfotos liefern, im Abstand von Jahrzehnten aufgenommen. Sie führen uns die atemberaubenden Dimensionen und das Tempo des Landschaftswandels vor Augen. Fern jeder Idealisierung des Früher unterstreichen sie, worauf es zunehmend ankommt: auf die lebenserhaltenden ökologischen Funktionen der Landschaft – und ihre Qualitäten als Heimatort.

Weiterführende Gedanken zum Landschaftswandel von Alfred Ringler, einem der renommiertesten Landschaftsökologen Bayerns, finden sie in seinem 1987 erschienenen Buch „Gefährdete Landschaft. Lebensräume auf der Roten Liste. Eine Dokumentation in Bildvergleichen“. Ein Auszug:


Früher Vielfalt –

Natürlich hat der Mensch schon immer in die Natur eingegriffen. Noch bis in das 20. Jahrhundert hinein geschah das aber relativ langsam: über mehrere Menschengenerationen hinweg, häufig kleinflächig in einem Nutzungsmosaik und in unterschiedlichen Landschaftsräumen zeitlich versetzt. Die landschaftliche Vielfalt nahm dabei eher zu, beispielsweise durch extensiv genutzte Moor- und Waldweiden, Streuwiesen, Streuobstänger, Magerwiesen, Almen oder sehr extensiv bewirtschaftete Äcker in der Dreifelder- oder Feldgraswirtschaft.

Seit etwa drei Generationen hat sich der Landschaftswandel aber massiv beschleunigt und wirkt landesweit nivellierend: Immer weniger Reste alter Nutzungsformen haben Überlebenschancen. In den neuen intensiveren Nutzungsformen verlieren seltenere Arten ihre Heimat. Ausnahmen wie die unterfränkischen Wiesenweihen, das Feldhamster-Programm und einige Blaukehlchen im Rapsfeld bestätigen nur die Regel. „Zu“ magere, nasse und trockene Standorte fallen aus der Agrarlandschaft. Gerade die Extremstandorte sind aber im Natur- und Artenschutz unersetzlich. Solche Flächen gab es an allen Ecken und Enden, aber auch als großflächige Zentralareale für den Biotopverbund: offene Sandheiden mit einzelnen Hutkiefern bei Siegenburg und Abensberg, das vier Kilometer lange Florenparadies der Grettstädter Wiesen bei Schweinfurt, riesige Stammbeckenhochmoore im Voralpenraum, 40 Quadratkilometer große Schotterheiden der Münchner Ebene und des Lechfeldes zwischen Denklingen (südlich Landsberg) und Rain (Lechmündung), riesige Talniedermoore zwischen Ulm und Vohburg sowie nördlich München, meilenweit ununterbrochene Hutungskorridore entlang der Jura- und Muschelkalktäler. Magere, von Tierklauen aufgerissene Hutungsflächen, Hohlwege (fränkisch Klingen) und ruderale Wegränder durchsetzten die historische Kulturlandschaft ebenso wie zehntausende von Sümpfen, feuchten Senken und Tümpeln. Viele Bäche und Gräben waren im 19. Jahrhundert noch langsam durchrieselte Talsümpfe ohne erkennbares Gerinne.

– heute Einfalt.

Aus wirtschaftlicher Sicht war dies alles „Ödnis“ und „Unland“, aus forstlicher Sicht „Oberpfälzer Krüppelwald“ oder “verbissene Holtzungen“. Dagegen musste und konnte dank neuer technischer Möglichkeiten etwas unternommen werden. Und so wurden Tausende Kilometer Entwässerungsgräben und Drainagen gezogen, 95 Prozent aller Niedermoore in intensive Kultur genommen, über 80 Prozent der etwa 70.000 Kilometer Fließgewässer reguliert oder kanalisiert. Fast alle kleinen Fließgewässer innerhalb der Flur wurden zu Gräben umgebaut oder verrohrt, Bodenunebenheiten, Dolinen, Torfstiche, Gipseinbrüche und Sumpfstellen mit Abraum und Bauschutt aufgefüllt, Magerstandorte aufgedüngt, zu steinige oder steile Magerwiesen aufgeforstet. Sogar auf der Langen Rhön begann man in den 1930er Jahren mit groß angelegten Aufforstungen.

Die Regulierung der großen Flüsse zwischen 1870 und 1930, die Eindeichung und der Staustufenbau an Main, Donau, Iller, Lech, Isar und Inn ab 1920 hatte die Voraussetzungen geschaffen, große Teile der Auen und Auwälder in Kultur zu nehmen. Der Bau des Mittleren Isar-Kanals 1929 war der Auftakt, das südliche Erdinger Moos vollends in Kultur zu nehmen. Das bayerische Torf- und Ödlandgesetz von 1922/23 verpflichtete die Eigentümer und den Staat sogar, Hochmoore abzutorfen und so weit wie möglich in Agrar- oder Forstflächen umzuwandeln.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es mit noch größerer Energie und erweiterten Ressourcen weiter. Jetzt flossen auch die Millionen aus dem bundesdeutschen Grünen Plan (ab 1954) und der EWG (heute EU; ab 1962). Allein im niederbayerischen Kleinlandkreis Bogen wurden pro Jahr über 1000 Hektar Ödland und Steinbuckelfluren kultiviert. Der sogenannte Mansholt-Plan (benannt nach dem niederländischen Agrarkommissar Sicco Mansholt) zur Rationalisierung der europäischen Landwirtschaft wurde so konsequent umgesetzt, dass sein Schöpfer bei einem Besuch im Buckelwiesenplanierungsgebiet bei Mittenwald sagte, so hätte er es nicht gemeint. Da hätte man ihn überinterpretiert. Über 200 Millionen Euro, die in den letzten 30 Jahren in den bayerischen Vertragsnaturschutz geflossen sind, sind der verzweifelte und leider oft unwirksame Versuch, die Agrarförder- und Intensivierungspolitik der 1950er bis 1980er Jahre wenigstens ansatzweise auszugleichen.

Für die „Flurbereinigung“ wurde eine eigene Verwaltung geschaffen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg drang die Arrondierung (Vergrößerung der Schläge auf maschinengerechte Größenordnung) in alle Landesteile vor, in der Oberpfalz und Oberfranken etwas später als in Niederbayern, Schwaben oder Unterfranken. Dies bedeutete das Todesurteil für viele „Kleinstrukturen“ wie Feldraine, Einzelbäume und Hecken. Wo man heute mühsam und aufwendig mit „Lerchenfenstern“, „Wiesenweihen- und Ortolan-Hilfsprogrammen“ der biologischen Auszehrung entgegenwirkt, honorierten einst staatliche Prämien die Rodung von Streuobstbeständen und die großflächige Vernichtung dieser Habitate und Zielarten.

Viele der entscheidenden Anstöße gingen dabei nicht von den Bauern aus, sondern von der staatlichen Beratung und Administration. Anlässe gab es viele: die Privatisierung der Almenden (Gemeinweiden), die Streuwiesen- und Ödlandkultur, die Umwandlung der fränkischen Nieder- und Mittelwälder, die Auflösung der Hauwaldgenossenschaften, die Auflösung der Birken- und Haubergswirtschaft im Bayerischen Wald, der Dorfweiden und der Hirtenkultur in der Hersbrucker Alb und im Oberpfälzer Wald sowie die Etablierung unzähliger Wasser- und Bodenverbände, die dem Gewässernetz 3.Ordnung ein ganz anderes, scharf geschnittenes Gesicht gaben.

Bauern und Waldbauern bewirtschaften und pflegen zwar immer noch etwa zwei Drittel der Landschaft, ihre Zahl schrumpfte aber seit 1950 auf zwei Prozent der Gesamtbeschäftigten. Maschinen ersetzten Menschen, Monokultur ersetzte Vielfalt: Nur vier Feldfrüchte mit wenigen Sorten (Weizen, Mais, Raps, Gerste) nehmen heute zwei Drittel der Ackerfläche ein. Der flächendeckende Einsatz von Kunstdünger und synthetischen Pflanzenvernichtungsmitteln eliminiert Begleitflora und -fauna fast vollständig.

Ein Refugium war bis in die 1970er Jahre hinein wenigstens das Grünland, die Wiesen. Doch auch hier griff die Intensivierung: die Silagegewinnung ersetzte das Heumachen. Gemäht wird immer häufiger, weshalb krautige Pflanzen nicht mehr aussamen und Bodenbrüter ihre Gelege nicht mehr zum Schlüpfen bringen können. Große Mengen Gülle unserer trotz sinkender Binnennachfrage sehr hohen Viehbestände oder gar Kunstdünger machten blütenreiche Magerstandorte zu extrem artenarmen Fettwiesen.

Seitdem säumen Silage-Plastikballen den Wiesenrand, prägen Silos die Höfe, bestimmen bundesweit einige (züchterisch bearbeitete) Grasarten das Bild der Landschaft. Statt vielerlei Farbtupfer einer bunten Bauernwiese dominiert das grelle Gelb des gülletoleranten Löwenzahns alles Grünland – ansprechend fürs Auge, aber eigentlich ein sehr schlechtes Zeichen…

Längst sind es nicht mehr allein die Spezialisten unter den Tier- und Pflanzenarten, die Hunger- künstler und Rote-Liste-Arten, die in der nivellierten und überdüngten Produktionslandschaft keinen Platz mehr finden. Auch frühere Allerweltsarten wie Feldlerche, Grasfrosch, Kiebitz und Wiesenstorchschnabel kommen mit dieser industrialisierten Landwirtschaft kaum mehr zurecht. Selbst die Bestände wichtiger Bestäuber wie der Honigbiene brechen zusammen. Seit 30 bis 40 Jahren führt zudem der Flächenverbrauch für Bebauung, Gewerbe und Straßen zu immensen Veränderungen des Landschaftsbildes. Eine Generation hat dafür mehr Fläche verbraucht als alle Menschheitsgenerationen vorher in derselben Landschaft.

Ganze Landschaften wurden so durch unser aller Lebenswandel und Konsumverhalten bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die gerade in Bayern hoch differenzierte, historisch gewachsene Typlandschaft wurde zur Triviallandschaft: austauschbar und identitätslos, mit normierten Einkaufszentren am Siedlungsrand und weitgehend ausgeräumter Feldflur.

Lernen, aber nicht idealisieren

Es geht dabei nicht darum, frühere Landschaftszustände als »gute alte Zeit« zu verklären. Es geht auch nicht um ein Zurück in das 19. oder frühe 20. Jahrhundert. Das wäre auch nicht erstrebenswert angesichts der damaligen oft prekären Lebens- und Arbeitssituation gerade der ländlichen Bevölkerung. Frühere Nutzungsformen können nicht generell als wünschenswert eingestuft werden. Viele Landnutzungen waren aus der Not geboren, führten zu Nährstoffumlagerungen vom Wald in die Dörfer oder zu massiver Erosion. Der Mangel führte zu Übernutzungen, die Beweidung war vielfach zu intensiv, die Waldnutzung oft nicht nachhaltig, die Verfolgung von »Raub- und Schadtieren« zügellos.

Ökologische Maßstäbe

Der entscheidende Maßstab für eine Kursänderung sollte daher kein zeitlicher, sondern ein ökologischer sein. Die Grundforderung: Jede Landnutzung muss – was Schutz des Bodens, Bodenlebewelt, Humus- und Wasserhaushalt, Energie- und Rohstoffverbrauch betrifft – tatsächlich langfristig nachhaltig sein. Heutige wie frühere Landnutzungsformen, die diesen Kriterien nicht entsprechen, sind nicht mehr vertretbar. Dennoch können sie in ausgewählten Räumen zwecks Dokumentation und Bildung sowie aus Artenschutzgründen fortgeführt werden.

Eine Reihe althergebrachter Nutzungsformen wie Beweidung, Heugewinnung oder Streuobstanbau sind nachhaltig und auch heute noch wirtschaftlich, zumindest dann, wenn beim Vergleich mit der industriellen Landwirtschaft deren gewaltige externe Kosten und Schäden eingepreist würden. Es gilt, diese traditionellen Nutzungsformen mit modernen Bewirtschaftungsformen zu kombinieren und sie in aktuelle Konzepte regionaler und nachhaltiger Wirtschafts- und Stoffkreisläufe zu integrieren.

Und eines ist auch sicher: Feuchtgebiete, intakte Moore, Auen und Wildflüsse, Hecken und Raine sind landschaftsökologisch unverzichtbar, denn sie stabilisieren den Wasser- und Bodenhaushalt. Unsere Krisenvorsorge und Zukunftssicherung beruht nicht nur auf Straßen, Airbags, Lärmschutzwänden, Wasserwerken und Kläranlagen, sondern auch auf den Fähigkeiten der Natur: Moore und Feuchtgebiete vermeiden Treibhausgase und machen Nitrat unschädlich. Funktionierende Auen und Kleingewässer halten Regenwasser zurück und stärken den Hochwasserschutz, wilde Flussufer schützen Brücken, weil sie den Fluss mit Kies versorgen, der die Flusssohle und damit Brückenfundamente stabilisiert. Hecken, Raine, naturnahe Waldsäume dienen der Ernährungssicherung, weil sie die natürlichen Gegenspieler der Ackerschädlinge begünstigen. Die Landschaft ist Träger der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung. Ihre Funktionsfähigkeit ist deshalb ebenso ernst zu nehmen wie Verkehrssicherheit, Lärmschutz oder Wasserversorgung.

Die hier ausgewählten Bildpaare, die jeweils typische Entwicklungen zeigen, sind damit eben nicht nur Rückblick oder Rückbesinnung, sondern geben für die Kulturlandschaft der Zukunft einen Zielwert und Vergleichsmaßstab. So wird der Rückblick zur Zwischenbilanz und zum Vorblick. Auch die Landschaft der Zukunft zwischen Spessart und Königssee, zwischen Vogtland und Bodensee kann wieder »schön« oder »anheimelnd« sein, kann ökologisch verbessert werden – man muss es nur wollen!

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